Frau Schulz, haben Sie das Gefühl, das an Schulen viel und gerne geteilt wird?
Regina Schulz: An Schulen wird viel geteilt. Schülerinnen und Schüler teilen Trends, Wissen, Hausaufgaben, und auch Lehrerinnen und Lehrern teilen didaktische Konzepte, Erfahrungen, Unterrichtsmaterialien – schon immer. Früher war es der Ordner mit Arbeitsblättern, den man an eine Kollegin oder einen Kollegen weitergegeben hat. Heute geht das Teilen digital selbstverständlich sehr viel einfacher. Teilweise muss meiner Meinung nach aber ein noch größeres Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Gutes es wert ist, geteilt zu werden. Der Austausch sollte in der Schule noch stärker institutionalisiert werden und in allen Fortbildungen Berücksichtigung finden.
Sie bringen Lehrkräften die Kultur des Teilens nahe – zum Beispiel als Referentin am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg.
Genau. Da geht es zunächst um ganz praktische Fragen bezüglich des Teilens. Ich stelle beispielsweise Open Educational Resources (OERs) vor, also Lern- und Lehrmaterialien mit offenen Lizenzen und erkläre, wo man gezielt nach diesen suchen kann: beispielsweise bei mundo.schule, wirlernenonline.de oder im digitallearninglab.de. Außerdem thematisiere ich, wie sich die Vernetzung auf Schulebene oder durch Online-Communitys fördern lässt.
Das Schwierigste ist aber die Vermittlung einer wirklichen Kultur des Teilens. Denn es geht nicht ausschließlich darum, bewährte Beispiele aus der eigenen Praxis zu vermitteln, sondern auch darum, eigene Problemstellungen zu teilen, um so gemeinsam Lösungsansätze diskutieren zu können.
Regina Schulz ist Lehrerin am Gymnasium Grootmoor in Hamburg für die Fächer Englisch und Geschichte (bilingual) und Informatik. Am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg gibt sie Fortbildungen für das Fach Englisch, Sek. II, mit dem Schwerpunkt Kultur der Digitalität. Sie teilt ihre Unterrichtsmaterialien im digitallearning.lab, engagiert sich beim Youth Innovation Center, Hammerbrooklyn und freut sich über Austausch zu den SDGs und Global History im #twlz.
Was sind denn die größten Befürchtungen der Lehrkräfte, wenn es ums Teilen geht?
Das größte Hemmnis beim Teilen von eigenen Unterrichtsmaterialien ist vermutlich der eigene Perfektionismus und die Angst vor einer Verletzung des Urheberrechts. Wobei sich die Sorge in Bezug auf Urheberrechte leicht durch Fortbildungen zu entsprechenden Creative Common Lizenzen entkräften lässt. Denn glücklicherweise gibt es Plattformen, die Bilder, Videos und Audiodateien unter CC-Lizenzen veröffentlichen. Das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg hat eine sehr umfangreiche Übersicht über Inhalte unter offenen Lizenzen im Netz. Für meinen Unterricht nutze ich die Suchfunktionen bei google images, hier muss man unter dem Reiter „usage rights“ anklicken, außerdem Wikipedia, Pixabay für Bilder und Salamisound für Audiodateien. Auch Clips der ZDF-Sendung Terra X sind unter offenen Lizenzen zum Download verfügbar.
Aber wenn es darum geht, gemäß der Kultur des Teilens auch persönliche Ideen und Fragestellungen zu teilen, kann es schwierig sein, konstruktiv gemeinte Kritik auch als solche aufzufassen. Deshalb ist wertschätzendes Feedback so unglaublich wichtig.
Wie pflegen Sie eine Kultur des Teilens an Ihrer Schule, dem Gymnasium Grootmoor in Hamburg?
Wir arbeiten mit einem Lernmanagementsystem. In ihm legen wir Lehrkräfte die Materialien, die wir mit anderen teilen möchten, jahrgangsbezogen in bestimmten Ordnern ab. Interessante Informationen verbreiten wir über Rundmails. Außerdem praktizieren wir die Kollegiale Unterrichtsreflexion, abgekürzt KUR. Bei ihr besuchen wir Kolleginnen und Kollegen im Unterricht und reflektieren anschließend gemeinsam über die Stunde. Außerdem geben Kolleginnen und Kollegen schulinterne Fortbildungen, und wir haben Konferenzen mit Barcamp-Anteilen. Natürlich gibt es auch immer regelmäßige Fachschafts- und Jahrgangskonferenzen. All das trägt dazu bei, dass das Vertrauen untereinander wächst – was ja die Grundlage dafür ist, dass man eigenes Wissen gerne teilt.
Was raten Sie Lehrkräften, die sich verstärkt mit einer Kultur des Teilens beschäftigen möchten?
Einmal lohnt es sich auf Twitter das „Twitterlehrerzimmer“ #twlz zu besuchen, das ist eine Plattform, auf der sich Lehrerinnen und Lehrer vernetzen und ihr Wissen praxisnah austauschen. Dann ist das eBildungslabor von Nele Hirsch eine gute Anlaufstelle. Dort teilt die Wissenschaftlerin praxisnahe Beispiele von der Schule bis zur Erwachsenenbildung und praktiziert so selbst die Kultur des Teilens. Und der Pädagoge Jöran Muuß-Merholz beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Open Educational Resources, mit frei zugänglichen Unterrichtsmaterialien. Bei allen Fragen zu offenen Bildungsmaterialien empfehle ich die Internetseite: open-educational-ressources.de, für konkrete Lizenzangaben oerhoernchen.de.
Und vor allem möchte ich alle Kolleginnen und Kollegen dazu ermutigen, Unterrichtsmaterialien zu teilen und andere an ihren reichhaltigen Erfahrungen teilhaben zu lassen. Diese Öffnung ist ein Prozess, in dem auch ich mich noch befinde.
Wie stellen Sie sich die Zukunft einer Kultur des Teilens an Schulen vor?
Hierzu ein aktuelles Beispiel aus meinem Alltag: Ich habe das Glück, bilingual Geschichte in der Oberstufe zu unterrichten und kam durch einen Kontakt im Twitterlehrerzimmer dazu, online eine Fortbildung an einer deutschen Schule im Ausland zu geben. Thema war Geschichtsunterricht in einer Kultur der Digitalität. Daraus hat sich ergeben, dass ein Kollege der deutschen Schule im Ausland und ich ein Wikipedia-Projekt mit unseren Schülerinnen und Schüler zu kolonialen und postkolonialen Orten organisieren werden. Wir bündeln also unsere Kompetenzen und teilen unsere Unterrichtsideen und -materialen. Die Schülerinnen und Schüler teilen ihr Wissen im Internet. Und durch die Vernetzung entsteht eine Online-Community, die ihrerseits dazu beiträgt, dass Wissen wächst und verbreitet wird. Das Beispiel zeigt, dass durch eine Kultur des Teilens noch mehr Diversität und Multiperspektivität in den Unterricht gebracht werden kann. Schule lässt sich somit öffnen, sogar international – und das wird auch in der Zukunft immer attraktiver. Und wenn ich mir vorstelle, wir Lehrkräfte könnten auf Moodle-Kurse aus der ganzen Welt zurückgreifen, die wir verändern und weitergeben könnten, wäre das natürlich großartig. So könnten alle – Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Bildnerinnen und Bildner außerschulischer Lernorte – gemeinsam miteinander und voneinander lernen.