ZEIT für die Schule: Herr Stelzl, dass junge Menschen mit Verfassungsrichterinnen und -richtern sprechen können, ist ganz und gar nicht alltäglich. Was war die Motivation hinter dem Projekt?
Thomas Stelzl: Das lässt sich ganz gut an einem Beispiel erklären: Im Rahmen eines anderen Projekts war ich mit einer Schulklasse und einem Vertreter einer Landeszentrale für politische Bildung schon einmal im Bundesverfassungsgericht. Die Schülerinnen und Schüler hatten den Auftrag, eine Verfassungsrichterin zu interviewen. Ich hatte zunächst einmal den kleinen Schmunzelmoment, als die Schülerinnen und Schüler das Bundesverfassungsgericht gesehen haben – die waren enttäuscht! Neben dem Karlsruher Schloss stehend, ist das nämlich ein relativ bescheidener Bungalow. Das war die erste Offenbarung. Und dann hat man auch gemerkt, dass die Schülerinnen und Schüler gar nicht so richtig wissen, welche Fragen man einer Verfassungsrichterin stellen kann. „Haben Sie schon mal einen Mörder verurteilt?“ war eine. Das waren alles spannende und legitime Fragen, aber keine, für die ich eine Verfassungsrichterin bräuchte. Und das zeigt: Dieses Amt, die Institution und ganz allgemein der Rechtsstaat sind für viele junge Menschen total abstrakt. Es ist einfacher, sich vorzustellen, was ein Bürgermeister tut, und einen Bundeskanzler kennt man aus dem Fernsehen. Aber ein Bundesverfassungsrichter, mit dem hat man nicht so oft zu tun. Und das wollen wir ändern.
Wieso ist es wichtig, diese Abstraktion zu verringern?
Wir müssen wissen, was dort, also zum Beispiel im Bundesverfassungsgericht, getan wird und warum. Dazu gehört das Wissen, dass ich in Deutschland sehr viele Möglichkeiten habe, Einspruch zu erheben, wenn ich mit gerichtlichen oder auch politischen Entscheidungen nicht zufrieden bin. Und dass das etwas Schützenswertes ist und etwas, das nur funktioniert, wenn wir – die Bevölkerung – dahinterstehen. Denn es ist ja so: Das Verfassungsgericht hat selbst keine Armee. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das wird nur dann umgesetzt, wenn die Leute dran glauben, dass es wichtig und richtig ist. Wenn wir es alle ignorieren, passiert nichts. Und in manchen Ländern der Welt sieht man, welche Folgen das haben kann. Deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass das Thema bei den jungen Verfassungsgesprächen und in vielen anderen Projekten auf die Agenda gehoben wird und mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Was macht die Stiftung Forum Recht?
Die Stiftung Forum Recht gestaltet auch neben den „Jungen Verfassungsgesprächen“ vielfältige Austausch-, Informations- und Bildungsformate in Karlsruhe, Leipzig, mobil in ganz Deutschland und digital. Sie verfolgt das Ziel, Menschen das Thema „Rechtsstaat“ näher zu bringen. Neben der Einbindung ihrer Zielgruppen setzt die Stiftung dabei auf die enge Zusammenarbeit mit einem internationalen Netzwerk von Institutionen und Akteurinnen und Akteure der politischen Bildung, Justiz sowie Wissenschaft und Kultur. Auch die Idee für das diesjährige Format der Jungen Verfassungsgespräche entstand gemeinschaftlich – und interdisziplinär. Das Konzept hierfür entwickelten Projekt- und Programmleiterin Kathrin Schön (Stiftung Forum Recht) mit Marcel Seekircher vom Stadtjugendausschuss e.V.
Die Argumentation funktioniert auch für Erwachsene. Wieso sollten gerade junge Menschen in Kontakt mit dem Rechtsstaat kommen?
Jugendliche sind nicht grundsätzlich wichtiger oder unwichtiger als andere Menschen, klar. Aber sie sind ein bisschen im Nachteil, weil sie eine schwächere Lobby haben und zum Beispiel noch nicht wählen dürfen. Aber ich glaube, es ist auch eine Gruppe, der man besonders Chancen geben muss, sich zu artikulieren. Es ist wichtig, auch die Meinungen, die Perspektive und den Blick von jungen Leuten mit aufzunehmen. Es ist wichtig, dass sie gehört werden von denen, die „da oben“, beispielsweise im Verfassungsgericht, sitzen. Auch, weil bei vielen Themen der Gegenwart und Themen der Zukunft Jugendliche die Expertinnen und Experten sind. Weil die Themen sie viel mehr betreffen, beispielsweise die Folgen des Klimawandels. Ich glaube fest daran, dass auch Jugendliche einem oder einer Verfassungsrichterin neue Impulse mitgeben können. Es geht also um den Austausch.
Außerdem ist es wichtig, das schulische Angebot zu diesem Thema zu ergänzen. Ich glaube, man könnte da noch viel mehr machen, wenn man die Zeit dafür bereitgestellt wird. Doch die ist in Schulen, vor allem in den genannten Fächern, begrenzt. Darum es ist toll, jungen Menschen in, aber eben auch außerhalb des Klassenzimmers ein Zusatzangebot machen zu können.
Aus Ihrer Erfahrung: Was sind Themen und Fragen, die junge Menschen aus dem Projekt beschäftigen?
Da das Projekt gerade erst anläuft, weiß ich noch nicht, in welche Richtungen sich die Überlegungen der jungen Menschen entwickeln werden. Ich könnte mir vorstellen, dass Grundgesetzartikel, die sich mit Klimaschutz und Umweltschutz beschäftigen, besonders relevant sind. Denn sie sind nah dran an der Lebensrealität der Jugendlichen. Aktuell könnte es auch die Frage um die Wehrpflicht gehen. Es geht aber neben den inhaltlichen Punkten auch um das Gespräch an sich: Wir hatten beim ersten Treffen Personen dabei, die sich besonders um marginalisierte Gruppen bemühen. Sie fragen sich vor allem, wie man es schaffen kann, dass ein Gespräch zwischen jungen Menschen und erfahrenen Richterinnen und Richtern auf Augenhöhe stattfinden kann. Wenn ein junger Mensch mit einem Verfassungsrichter, einer Professorin oder einem Politiker über die Verfassung diskutiert, kann das im Zweifel schwierig sein. Denn der Verfassungsrichter ist natürlich qua Beruf viel mehr im Thema, kennt die Gesetze in und auswendig. Wie kann man diesen Unterschied auszugleichen und dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen sich ohne Hemmungen in ihrer eigenen Sprache ausdrücken können? Diesen Fragen – und Ängsten – wollen wir im Laufe des Projekts begegnen.
„Es ist wichtig, dass junge Leute gehört werden von denen, die „da oben“ im Verfassungsgericht sitzen“
Die Auseinandersetzung mit den Grundgesetzartikeln erfolgt in Form von Plakaten, die die Jugendlichen gestalten. Wieso haben Sie diesen Ansatz gewählt?
Wir haben uns bewusst für eine kreative, kunstvolle Auseinandersetzung mit dem Thema entschieden, die gleichzeitig wenig Hürden beinhaltet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können so ihren Gedanken freien Lauf lassen, ohne große technische Fähigkeiten mitbringen zu müssen. Das lässt sich mit einem Plakat gut machen: Sie können zeichnen, schreiben, oder kleben – ganz, wie sie möchten. Gleichzeitig steht davor eine wichtige Reflexionsarbeit. Jugendliche müssen den Inhalt des Gesetzes verstehen und es für sich übersetzen, bevor sie kreativ werden.
Im Idealfall möchten wir dem Ganzen noch einen zweiten Schritt hinzufügen: Die Jugendlichen sollen mit einem Designer zusammenarbeiten können, der die Plakate so digitalisiert, dass wir sie großformatig drucken können. Damit wollen wir den jungen Leuten nochmals eine wichtige Stimme geben. Weil das, was sie da kreiert haben, eben nicht nur für ihren Freundeskreis oder für ihre Schulklasse bestimmt bleibt, sondern zudem für die Öffentlichkeit, wenn wir die Werke ausstellen oder in einem Magazin abdrucken können.
Jugendlichen eine Stimme geben: „Aus gutem Grund“
Wollen Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern auch das Grundgesetz zum Leben erwecken? Dann machen Sie mit Ihrer Klasse mit beim Schulwettbewerb „Aus gutem Grund“!
ZEIT für die Schule stellt Unterrichtsmaterialien für zwei Unterrichtseinheiten rund um das Grundgesetz zur Verfügung, die Schülerinnen und Schüler zur Gestaltung eines kreativen Plakates nutzen können. Die Gewinnerinnen und Gewinner erwartet eine Reise zu den „Jungen Verfassungsgesprächen“ in Karlsruhe inklusive Fahrt, Verpflegung und Übernachtung.