Ziel ist, jedes Kind mitzunehmen
An der Martinschule Greifswald lernen Kinder und Jugendliche von der Grundschule bis zur gymnasialen Oberstufe in heterogenen Gruppen. Etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Mit viel Raum für individuelles Lernen schaffen es die Lehrerinnen und Lehrer, der Vielfalt in ihren Klassenzimmern gerecht zu werden.
Was aber bedeutet Individualisierung? Anne Jeschke, Sonderpädagogin und Hort- und Grundschulleiterin an der Martinschule, erklärt das Konzept: „Gutes Lernen bedeutet, dass wir jeden Schüler sehen. Dieses Individualisieren in einer Gemeinschaft bedeutet, dass ich dem Kind Wahlmöglichkeiten gebe, die die Lehrkraft vorbereitet, damit wir besonders die Motivation als tragendes Element behalten.“
Ziele spielen dabei eine entscheidende Rolle. Da die Schülerinnen und Schüler diese selbst setzen, ist die Motivation so groß, dass sie häufig über ihre Fähigkeiten hinauswachsen. Eine Schülerin mit Sehbehinderung äußerte beispielsweise den Wunsch, an einem Vorlesewettbewerb teilzunehmen. In ihrer Freiarbeitszeit widmete sie sich diesem Ziel. Dabei war ihre Motivation – und somit ihr Fortschritt – so groß, dass sie letztendlich eine Auszeichnung gewann und später sogar an einem Landeswettbewerb in Mecklenburg-Vorpommern teilnahm.
Lernen individualisieren
Das Evangelische Schulzentrum Martinschule in Greifswald wurde 2018 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Die Schule hat sich von einer Förderschule zu einer inklusiven „Leuchtturmschule“ entwickelt. Die Schulpreis-Jury war unter anderem beeindruckt davon, wie das Kollegium hier einen „Ort für alle“ gestaltet.
Wie nun ist das selbstbestimmte Lernen an der Schule organisiert? Wie kann der Unterricht gleichzeitig individualisiert sein und dem Lehrplan entsprechen? Diese und weitere Fragen beantwortet der Beitrag zum Konzept der Martinschule auf dem Deutschen Schulportal. Hier finden sich auch weitere Berichte, Konzepte und Materialien aus den Preisträgerschulen.
Den eigenen Lernweg finden
Bereits in der Grundschule nehmen Kinder ihr Lernen in die eigenen Hände und setzen sich dafür Ziele. Ab der ersten Klasse können sich die Kinder in der Freiarbeitszeit eigenen Themen widmen, in der dritten Klasse kommt dann ein offener Lerntag hinzu. Das Angebot an Freiarbeitszeiten und offenen Lerntagen nimmt also mit steigender Klassenstufe zu. Ab der fünften Klasse werden dann einmal wöchentlich Mathe, Deutsch und Englisch individualisiert unterrichtet.
Auch individuelles Lernen muss geplant werden. Dazu hat das Kollegium der Martinschule Greifswald einen Lernplaner entwickelt, in dem die Schülerinnen und Schüler ihre Ziele festhalten und ihren Fortschritt dokumentieren. Der Lernplaner ist auch Gegenstand der vierteljährlichen Zielvereinbarungsgespräche, an denen die Eltern ebenfalls teilnehmen.
Infolge des regelmäßigen Dialogs zwischen Schülerinnen und Schülern, der Lehrkraft und den Eltern erfahren die Pädagoginnen und Pädagogen, wo genau deren individuelle Stärken und Schwächen liegen und was ihre Schülerinnen und Schüler wirklich brauchen. Dazu muss die Lehrkraft auch lernen, individuell auf jedes Kind reagieren zu können: „Die Herausforderung ist zum einen, dass man natürlich ganz viele Aufgaben, an denen sich die Schüler bedienen können, parat haben muss. Man muss parallel schauen: Wer arbeitet an welchen Aufgaben, kommt wie voran?“, kommentiert Lutz Jürgens, Lehrer an der Martinschule Greifswald.
Den Spaß am Lernen nicht verlieren
Die Schülerinnen und Schüler der Martinschule in Greifswald haben eine deutlich positive Grundeinstellung zum Lernen. Indem sie selbst bestimmen, welche Themen oder Schwierigkeitsgrade sie wählen, bleibt die Motivation hoch. Dabei bedeutet individuelles Lernen nicht, dass sie allein arbeiten. In ihren Lerngruppen besprechen sie Themen, können sich Hilfe holen und haben Arbeitspartner. Die Lehrkräfte beobachten immer wieder, wie konzentriert und mit wie viel Tiefgang die Kinder und Jugendlichen in der offenen Lernzeit an ihren Themen arbeiten.
Und obwohl die Ziele der einzelnen Schülerinnen und Schüler unterschiedlich sind, können sich die Lehrkräfte nach einem Lehrplan richten. „Es ist wichtig, zu sehen, dass die Ziele unterschiedlich sind. Der Inhalt aber bleibt gleich, inklusiv. Alle beschäftigen sich zum Beispiel mit dem Thema Weltraum und Planeten, aber welches Ziel darin das einzelne Kind verfolgt, hängt davon ab, an welcher Stelle es gerade ist und was es lernen kann“, erklärt Anne Jeschke.
Die Sonderpädagogin Leonore Bildert sieht Selbstständigkeit als das größte Ziel des individuellen Lernens: „Jedes Kind kann nach seinen eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten lernen, in seinem Tempo und kann Lernen als etwas Sinnstiftendes wahrnehmen, das nicht mit dem Schulgong aufhört.“
Die Preisträger des Deutschen Schulpreises werden von einer Jury in sechs Qualitätsbereichen bewertet. Schulen, die ganzheitlich überzeugen, schaffen es unter die besten Schulen Deutschlands. Verliehen wird der Schulpreis jährlich von der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung.
Auf dem Schulportal werden innovative und erfolgreiche Konzepte der Preisträgerschulen filmisch aufbereitet. Erklärende Texte, Bilder und Material, das die Schulen zur Umsetzung ihrer Konzepte selbst entwickelt haben, ergänzen das Angebot. Die Konzeptdatenbank wächst stetig. Daneben informiert das Deutsche Schulportal mit spannenden Berichten über aktuelle Entwicklungen in der schulischen Bildung.