Mit Unterstützung von facebook
Frau Lamberty, seit Wochen demonstrieren Impfgegner, Demokratiefeinde und Anhänger von Verschwörungsglauben gegen Deutschlands Corona-Politik. Überrascht Sie das?
Nein. Verschwörungserzählungen haben in Zeiten von Krankheiten Konjunktur, das zeigt sich immer wieder: Während der Pest im Mittelalter wurden die Juden bezichtigt, die Brunnen vergiftet zu haben, mit der traurigen Konsequenz von Pogromen. Und über die Spanische Grippe hieß es Anfang des 20. Jahrhunderts, sie sei eine Biowaffe gewesen. Krisen bedeuten Kontrollverlust, und eine Verschwörungserzählung sorgt für Struktur. Diejenigen, die daran glauben, haben ein Feindbild, auf das sie ihre Ängste projizieren können. Das nimmt der Situation, zumindest scheinbar, die Bedrohlichkeit.
Welche Verschwörungserzählungen sind im Moment zentral?
Nicht alles, was derzeit als Verschwörungserzählung gilt, würde ich selbst dazu zählen. Ich unterscheide vielmehr zwischen einer Falschinformation, die einfach fehlerhaft ist, Desinformation, die gezielt verbreitet wird und Verwirrung stiften soll, und einer Verschwörungserzählung, die das Ergebnis von bewusster Desinformation sein kann.
Wenn jemand sagt, Corona sei nicht schlimmer als eine Grippe, dann ist das nach meiner Erkenntnis entweder eine Falsch- oder eine gezielte Desinformation. Eine Verschwörungserzählung braucht zusätzlich mächtige Akteure im Geheimen. Zum Beispiel: Corona ist zwar nur so schlimm wie die Grippe, aber die Regierung behauptet, es sei anders, um Bargeld abzuschaffen. Eine weitere Erzählung, die man im Moment immer wieder hört, ist, dass der Milliardär Bill Gates hinter Corona steckt und davon profitiert.
Die Novelle des Infektionsschutzgesetzes ist ebenso Gegenstand der Narrative. Hier fallen vor allem die bagatellisierenden und schwer erträglichen Vergleiche mit dem Nationalsozialismus auf, bei denen manche Menschen so weit gehen, sich einen gelben Stern anzukleben, auf dem „Impfgegner“, „Verschwörungstheoretiker” und manchmal sogar „Jude“ steht.
Diese Menschen stellen sich als Opfer eines Regimes dar, das sie als „faschistoid“ bezeichnen.
Genau. Das ist zwar an sich noch keine reine Verschwörungserzählung, geht aber in die Richtung. Ein Verschwörungsglaube, der immer wieder neu aufgelegt wird, ist, dass das Coronavirus aus einem Geheimlabor stammt. Hier gibt es Parallelen zu Aids oder Ebola – über beide Erreger wurde das von Verschwörungsideologen ebenfalls gemutmaßt.
Sind Kinder und Jugendliche besonders anfällig für solche Verschwörungserzählungen?
Nein. Da unterscheiden sich Kinder und Jugendliche nicht von Erwachsenen. Überwiegend hängen Menschen einer Verschwörung an, die ein starkes Bedürfnis haben, einzigartig zu sein und aus der Masse herauszustechen. In ihrem Weltbild gibt es ein absolut Böses und entsprechend auch ein absolut Gutes. Diejenigen, die sich auf der Seite des Guten wähnen, verfügen ihrer Auffassung nach über ein Geheimwissen, und sie befinden sich im Widerstand. Der Glaube an die Verschwörung ist damit für sie ein narzisstischer Zugewinn.
Aber Kinder und Jugendliche stehen am Anfang der Entwicklung einer politischen Identität. Insofern ist Aufklärung bei ihnen ganz besonders wichtig.
Wie kann man sie darin unterstützen, Falschinformation, Desinformation und Verschwörungsglaube von Fakten zu unterscheiden?
Eine Studie besagt, dass die Hälfte der Bevölkerung mehr ihrem Bauchgefühl als Experten vertraut – eine erschreckende Zahl. Auch sehr hoch ist die Anzahl der Impfgegner, die 2019 bei 18 Prozent lag. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnete Impfgegner bereits 2019 als „globale Gefahr“.
Man kann vor diesem Hintergrund also nicht früh genug damit anfangen, zu vermitteln, welche Quellen als seriös einzuordnen sind und welche nicht. Ich selbst höre immer wieder den Satz „Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Als Empirikerin kann ich versichern, dass Datenfälschung so gut wie nie in der Wissenschaft vorkommt: Es ist schlichtweg sehr schwierig, Daten zu fälschen. Aber natürlich gibt es Unterschiede: Eine Metaanalyse sagt mehr aus als eine einzelne Korrelationsstudie. Hier gilt es darzustellen, wie man differenziert.
Es gibt außerdem sehr effektive Angebote für die Schule. Zwei Psychologen aus Großbritannien haben beispielsweise das Spiel „Get Bad News“ entwickelt. Dabei lernen Jugendliche, wie Fake News aufgebaut werden, indem sie selbst welche konstruieren. Nach dem Spiel sind sie deutlich besser darin als vorher, Falschnachrichten zu entlarven. Wo verstärkt die Rede von „Homeschooling“ und „digitaler Lehre“ ist, sind solche Spiele eine niedrigschwellige Möglichkeit, sich den Themen Fake News und Verschwörungsglauben anzunähern.
Welche Verantwortung haben die sozialen Medien bei der Verbreitung von Verschwörungsnarrativen?
Das ist schwer zu sagen, weil es keine Daten dazu gibt. Wenn man bedenkt, dass der Verschwörungsglaube schon immer und in allen Kulturen eine Rolle gespielt hat, denke ich zwar, dass soziale Medien einen Einfluss haben, dass er in der öffentlichen Debatte aber überschätzt wird.
Allerdings tragen soziale Medien sicher dazu bei, dass Verschwörungserzählungen sich international verbreiten. Mein Eindruck ist, dass soziale Medien im Kontext der Pandemie ihre gesellschaftlichen Aufgaben verstärkt wahrnehmen. Sie schränken beispielsweise die Weiterleitungen von Nachrichten mit Verschwörungserzählungen ein oder versehen Videos mit Warnhinweisen. Das ist sicherlich gut und sinnvoll.
Wie kann ein Jugendlicher, eine Jugendliche reagieren, wenn er oder sie mit Verschwörungserzählungen konfrontiert wird?
Bei einer Person, die man nicht persönlich kennt, kann man Links zu Faktenwissen unter die Verschwörungserzählung posten. Dadurch bekehrt man sicher nicht den Verbreiter oder die Verbreiterin, ermöglicht anderen Leserinnen und Lesern aber eine Einordnung.
Wenn es jemand aus dem eigenen Umfeld ist, kann man sich zunächst fragen, welche Funktion der Verschwörungsglaube für die jeweilige Person einnimmt. Braucht sie gerade Feindbilder, weil sie unsicher oder unzufrieden ist? Geht es um Ängste?
Wenn jemand Corona als reale Bedrohung bestreitet, kann es sein, dass die Person eine Umgangsstrategie benötigt, da sie andernfalls von Ängsten übermannt werden würde.
Solche Überlegungen eröffnen Ansatzpunkte für ein Gespräch, das man vielleicht auch mit Unterstützung von Eltern oder Pädagogen führen kann. Eine Grenze beim Verständnis ist sicher erreicht, wenn die Verschwörungserzählungen menschenfeindliche Inhalte transportieren.
Bei Rassismus oder Sexismus sollte man immer Stellung beziehen?
Ja. Einerseits schon. Wobei man auch nicht vergessen darf, dass Verschwörungsideologen teilweise sehr aggressiv im Netz unterwegs sind, und bei aller Gegenrede ist andererseits der persönliche Schutz insbesondere für Kinder und Jugendliche wichtig.
Seinen eigenen Account nicht jedem öffentlich zugänglich zu machen ist sicher ein erster Schritt. Und Menschen, die fragwürdige Inhalte posten, kann man einfach blockieren.
Kompendium „Digital- und Medienkompetenz im Schulalltag“
Das Kompendium führt die Unterrichtsmaterialien der vergangenen Monate, die mit Unterstützung von Facebook entstanden sind, zusammen zu den Themen „Fake-News“, „digitale Zivilgesellschaft“, „Rassismus“, „Verschwörungstheorien “ sowie „Cybermobbing und Sexting“.
Facebook gegen Fake News
Seit dem Ausbruch der Pandemie unterstützt Facebook die Arbeit der globalen Gesundheitsorganisationen und setzt sich mit neuen, genau auf die Situation abgestimmten Regeln gegen die Verbreitung von Falschmeldungen rund um das Virus ein. Facebook verweist auf verlässliche Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder hier in Deutschland auf das Bundesministerium für Gesundheit. Tagesaktuelle Updates aus der eigenen Region gibt es unter https://www.facebook.com/coronavirus_info
Nachdem deren Benachrichtigungsservice auf WhatsApp mehr als zwölf Millionen Menschen erreicht hat, hat die WHO im April einen interaktiven Dienst auf dem Facebook-Messenger gestartet. Dort werden Fragen der Bevölkerung rund um das Virus auf direktem Weg beantwortet. Außerdem werden so jederzeit vertrauenswürdige und aktuelle Informationen zur Verfügung gestellt. Weiterführende Informationen:
https://about.fb.com/de/news/2020/05/sicherheitsmassnahmen-und-informationen-zum-coronavirus/