Wie Sie Ihren Schüler:innen diese beiden zentralen Anwendungsbereiche spielerisch und handlungsorientiert nahebringen, zeigen die Unterrichtsideen und Praxistipps in diesem Beitrag. – Langweilig wird es den Jugendlichen dabei übrigens garantiert nicht, denn sie sind permanent „in Action“: Sie „programmieren“ ein Browserspiel, recherchieren im Netz und treten beim Spiel „Mensch, Maschine!“ gegen eine Künstliche Intelligenz (KI) an. Zum Abschluss diskutiert die Klasse bei einem Rollenspiel über Chancen und Risiken von KI.
„KI in der Medizin“ – ein gutes Einstiegsthema
Künstliche Intelligenz in der Medizin – das klingt erst einmal kompliziert. Das Thema eignet sich jedoch aus mehreren Gründen besonders gut für Schüler:innen, die noch wenig über KI wissen. Zum einen, weil die Gesundheitsversorgung und moderne medizinische Technologien auch für junge Menschen relevant und interessant sind. Zum anderen, weil speziell im Gesundheitswesen ein breites Spektrum von KI-Technologien zum Einsatz kommt, zum Beispiel Bilderkennung und -analyse im diagnostischen Bereich, Chatbots bei der Vordiagnose, Mensch-Maschine-Interaktionen bei roboterassistierten Operationen, Sensoren in Smartwatches und vieles mehr.
Zudem bietet das Thema verschiedene Anknüpfungspunkte für den Fachunterricht. In den MINT-Fächern befassen sich die Jugendlichen beispielsweise mit Algorithmen und maschinellem Lernen, in Deutsch mit natürlicher Sprachverarbeitung, und in Biologie erfahren sie mehr über Präzisionsmedizin bei multifaktoriellen (= komplexen) Erkrankungen. Im Ethikunterricht schließlich geht es um den Schutz sensibler Gesundheitsdaten oder um Triage in der Notaufnahme, also die Kategorisierung und Priorisierung von Patient:innen je nach Schweregrad von Krankheiten oder Verletzungen.
Und noch ein methodischer Praxistipp: Aufgrund seiner vielen, klar voneinander abgegrenzten inhaltlichen Aspekte ist das Thema für Lernstationen oder den Werkstattunterricht ebenso geeignet wie für eine Referatserie.
Maschinelles Lernen: Wie lernt KI?
Diese Frage steht meist am Anfang einer Unterrichtseinheit über KI. Auf der Website ki-konkret finden Sie dazu Video-Tutorials, die die Grundlagen des maschinellen Lernens anhand von Beispielen leicht verständlich erklären.
Doch spielen Sie zum Einstieg mit den Jugendlichen erst mal das Spiel „Mensch, Maschine!“, das im Wissenschaftsjahr 2019 für die „Mitmachaktion“ entwickelt wurde. Dabei „können Schülerinnen, Schüler und Jugendgruppen quasi dabei zuschauen, wie bei Maschinen Lernfortschritte entstehen“, heißt es auf der Website. Ein menschlicher Spieler oder eine menschliche Spielerin tritt gegen eine „Maschine“ an, die von mehreren Mitspielenden simuliert wird. Gespielt werden mehrere Runden Bauernschach. Immer wenn die Maschine verliert, „lernt“ sie, indem sie erfolglose Spielzüge aus ihrem Repertoire streicht. Und zwar so lange, bis sie unschlagbar wird.
Die Elemente des Spiels stehen auf der Website zum Download bereit, sodass sich die Jugendlichen gleich mehrere Versionen für die Klasse basteln können.
Roboter im Operationssaal
Die Lernprozesse bei Roboterassistenten im OP sind da schon weitaus komplexer als beim Spiel „Mensch, Maschine!“. Doch in dieser Lerneinheit geht es um etwas anderes. Die Schüler:innen entwickeln zu einer kontrovers diskutierten Frage eine reflektierte Haltung:
„Würdest du dich/Würden Sie sich von einem Roboter operieren lassen?“
Dazu positionieren sich die Jugendlichen zu Beginn der Stunde an einer mit Klebeband auf dem Boden markierten Meinungslinie mit den Polen „Ja“ und „Nein“. Befragen Sie die Jugendlichen nach ihren Gründen für ihre Position und notieren Sie dazu einige Stichpunkte auf der linken Seite von Tafel oder Whiteboard – je nach Tendenz mit Minus- oder Pluszeichen. Zum Beispiel: Angst, verletzt zu werden (-), Angst, die Kontrolle zu verlieren (-), hat eine ruhigere Hand (+), ermüdet nicht (+).
Viele Menschen befürchten auch, dass Roboter im OP autonom agieren und eigenständige Entscheidungen treffen. Das stimmt aber nicht: „Roboter sind unverzichtbare Assistenten“ und nicht mehr, schreibt Silvio Wenzel in seinem informativen Artikel über „Roboter im Operationssaal“ auf der Website von planet wissen.
In Arbeitsgruppen lesen die Jugendlichen Wenzels Text und fassen zusammen, welche Rolle Ärzt:innen im OP haben und wobei genau ihnen das KI-gestützte Robotiksystem assistiert. Ergänzend dazu sehen sie das kurze Video „KI und Medizin“ des WDR-Wissenschaftsmagazins „Quarks“: Es zeigt, wie KI-basierte 3-D-Aufnahmen Chirurg:innen ermöglichen, sich bei minimalinvasiven Operationen sicher im Körper der Patient:innen zu orientieren.
Danach haben die Schüler:innen ein klares Bild davon, was ein Robotiksystem kann und wobei eine KI-Assistenz im OP zum Einsatz kommt. Nun können sie erheblich kompetenter entscheiden, ob sie sich von einem Roboter operieren lassen würden. Noch einmal geben sie ein Statement entlang der Meinungslinie ab. Vermutlich ändern jetzt einige ihre Position und begründen das wieder. Schreiben Sie auf der rechten Tafelseite stichpunktmäßig mit.
Ein Vergleich von linker und rechter Seite wird sehr wahrscheinlich offenbaren, dass wir erst dann fundierte Entscheidungen treffen können, wenn wir uns gut informieren. – Eine wichtige Erkenntnis, die nicht nur zur Akzeptanz von KI in der Medizin beiträgt, sondern auch in vielen Bereichen unseres Lebens hilfreich ist.
Bilddiagnostische KI-Systeme
Bei der Diagnose, zum Beispiel von Krebs, erkennt ein KI-basiertes bilddiagnostisches System auf MRT- oder Röntgenaufnahmen oft schon kleinste pathologische Veränderungen – in einigen Fällen sogar besser als der Mensch. Dazu trainiert man die neuronalen Netzwerke von diagnostischen Systemen mit einer möglichst großen Menge von Bilddaten, in diesem Fall mit diagnostischen Aufnahmen. Einige dieser Bilder zeigen pathologische Veränderungen, andere nicht. Sie lassen sich also – vereinfacht gesagt – in zwei Klassen einteilen: in Bilder mit Krebszellen und in Bilder ohne Krebszellen.
Wie das funktioniert, sehen die Jugendlichen mithilfe des intuitiven, webbasierten Google-Tools „Teachable Machine“: Da die Video-Tutorials auf der Seite englischsprachig sind, hier eine deutschsprachige Anleitung des Computerclubs Arcada.
Mit „Teachable Machine“ entwickeln die Lernenden ein eigenes KI-System, das etwa erkennt, ob Personen eine Atemschutzmaske tragen oder nicht, und entsprechend Rückmeldung gibt. Dazu füttern sie das KI-Tool mit möglichst vielen Fotos zweier Kategorien, zum Beispiel mit Gesichtern von Menschen mit und ohne Atemschutzmaske.
Das eigentliche Training führt dann die KI-Anwendung eigenständig aus, und zwar mithilfe eines Algorithmus, also einer exakt definierten Handlungsanweisung, und mit möglichst vielen Bilddaten. Anhand der Ergebnisse sieht man, ob die Menge der Trainingsdaten ausreichend war: Je mehr Bilder man dem neuronalen Netzwerk zur Verfügung stellt, umso genauer kann es unterscheiden, ob ein Gesicht mit oder ohne Atemschutzmaske zu sehen ist. Auch ein bilddiagnostisches System lernt mit zunehmender Datenmenge immer präziser, Krankheiten zu erkennen.
Fehlende Transparenz: das Blackbox-Problem
Wenngleich derzeit an transparenten bilddiagnostischen Systemen geforscht wird, ist bisher noch nicht nachvollziehbar, wie neuronale Netzwerke genau lernen. Auch bei „Teachable Machine“ ist der Lernprozess nicht erkennbar: Die Jugendlichen starten das Training lediglich über einen Button, und kurz darauf ist das Tool in der Lage, Bilder richtig in die jeweilige Klasse einzuordnen. Das neuronale Netzwerk lernt praktisch in einer Blackbox.
Das sogenannte „Blackbox-Problem“ steht bei medizinischen KI-Anwendungen häufig in der Kritik: Da weder Programmierende noch Anwendende erklären können, wie die KI zu ihren Entscheidungen kommt, und die KI-Systeme bei ihren Entscheidungen aus verschiedenen Gründen auch Fehler machen können, fordern Expert:innen mehr Transparenz bei medizinischen KI-Anwendungen.
Warum und in welchen Fällen kann diese Intransparenz von maschinellem Lernen in der Medizin zum Problem werden? Diese Frage führt direkt zur Betrachtung des Themas aus ethischer Sicht.
Ethische Positionen: Chancen und Risiken von KI in der Medizin
Künstliche Intelligenz wirft viele gesellschaftliche und ethische Fragen auf, die sowohl im fächerübergreifenden Unterricht als auch in Fächern wie Religion, Deutsch oder im Fremdsprachenunterricht erörtert werden können. Auch hier gilt wieder: Wer in einer argumentativ fundierten Diskussion mitreden will, muss sich zuerst informieren.
Bei einem kurzen Brainstorming trägt die Klasse mit Ihnen Pro- und Kontra-Argumente im allgemeinen Kontext von KI-Anwendungen und in der Medizin zusammen. Sammeln Sie die Ideen strukturiert an der Tafel oder am Whiteboard. Bei einer anschließenden Recherche im Netz oder in vorgegebenen Texten vertiefen die Jugendlichen besonders wichtige Aspekte in der gesellschaftlichen und politischen Debatte: Diskriminierungen, Datenschutz der sensiblen Gesundheitsdaten, mögliche Datenlecks, Arbeitsplatzverlust, Fehldiagnosen etc. Dann verständigen sie sich in ihrer jeweiligen Arbeitsgruppe auf grundlegende Werte für eine verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung von KI.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion erörtert die Klasse, wie Risiken vermindert und Werte gewahrt werden könnten. Besonders spannend wird das, wenn die Teilnehmenden vorher Rollenkarten mit kontroversen Positionen ziehen, zum Beispiel „Vertreterin einer Patientenschutzorganisation“, „Gesundheitspolitikerin“, „Klinikleitung mit Kostenverantwortung“, „KI-skeptischer Arzt“, „KI-affine Ärztin“, „Krankenpfleger“, „älterer Patient“ und „jüngere Patientin“. Geben Sie den Diskutant:innen dazu einen Pool von ungeordneten Argumenten an die Hand, und die Jugendlichen suchen sich Aussagen heraus, die zu ihrer Rolle passen.
Ethische Aspekte im Fachunterricht
Hier noch ein paar Ideen, wie Sie ethische Aspekte auch im Fachunterricht berücksichtigen:
Im Englischunterricht ab der 10. Klasse lesen die Jugendlichen den Comic „We Need to Talk, AI“. Er benennt die Chancen und Risiken von KI in einfachen, klaren Worten, verständnisfördernd illustriert mit reduzierten, ansprechenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen.
„Wie sieht die Medizin/die Welt in hundert Jahren aus?“ Dazu verfassen die Schüler:innen in Deutsch wahlweise eine Utopie oder eine Dystopie.
Ebenfalls im Deutsch- oder im Ethik- beziehungsweise Religionsunterricht in Sekundarstufe II bietet sich zur Vorbereitung einer kontroversen Diskussion die Lektüre komplexerer Texte an, um sich über Pro- und Kontra-Positionen zu informieren und parallel dazu zum Beispiel journalistische Textformen zu besprechen:
Der Artikel „Künstliche Intelligenz: Ethikrat empfiehlt strenge Vorgaben in der Medizin“ auf der Website des Deutschen Ärzteblattes vom 20. März 2023 fasst die wichtigsten Empfehlungen und Einwände des Deutschen Ethikrates zusammen, verständlich auch für Nichtmediziner:innen. – Ein grundlegendes Statement, wenn es um die ethische Bewertung von KI-Anwendungen im medizinischen Bereich geht. Und ein gutes Beispiel für einen sachlichen, wissenschaftsorientierten Bericht.
In der Süddeutschen Zeitung finden sich zwei Kommentare, die mehr („kontra“) oder weniger („pro“) polemisch sind.
Zum Schluss eine Klinikexkursion
Wie wäre es zum Abschluss einer KI-Unterrichtseinheit mit einer Exkursion in eine nahe gelegene Klinik? Bei einem geführten Klinikrundgang erleben die Schüler:innen anschaulich, wie KI-Anwendungen genutzt werden. Im Idealfall gibt es dabei die Gelegenheit, mit Angehörigen verschiedener Gesundheitsberufe zu sprechen. Und wer weiß: Vielleicht eröffnen sich den Jugendlichen dabei ganz neue Perspektiven bei der Wahl eines Studienganges oder bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.
KI in Schule und Medizin – ein Crash-Kurs für Lehrkräfte
In den Lehrplänen und in Aus- und Fortbildungskursen tauchen KI-Themen bisher eher am Rande auf, zum Beispiel im Fach Informatik in der Oberstufe. Deshalb hier noch ein kurzer Hinweis auf den „KI-Campus“: Diese Lernplattform bietet frei zugängliche Onlinekurse, Tutorials und Podcasts von und mit KI-Expert:innen, die oft auch ohne Vorkenntnisse gut verständlich sind. Auf der Überblicksseite sehen Sie die verfügbaren Kurse. Der Workshop „Schule macht KI“ etwa umfasst gerade einmal vier Module à 60 Minuten und ist so aufgebaut, dass Lehrkräfte danach allgemeine Grundlagen von KI in Sekundarstufe I und II unterrichten können.
Internetseiten zum Thema
Artikel
- acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e. V.
KI KONKRET: Was ist KI? - Bundesministerium für Bildung und Forschung
Die Jugendaktion: Mensch, Maschine! - Westdeutscher Rundfunk Köln: planet wissen
Roboter im Operationssaal - Spektrum.de
Lexikon der Neurowissenschaft: neuronale Netze - I-am.ai
KI, wir müssen reden - aerzteblatt.de
Künstliche Intelligenz: Ethikrat empfiehlt strenge Vorgaben in der Medizin - Sueddeutsche.de
KI in der Medizin – Contra: Der große Bluff - Sueddeutsche.de
KI in der Medizin – Pro: Die große Zukunft - KI-Campus
Schule macht KI
Videos
- Westdeutscher Rundfunk Köln: Quarks
KI und Medizin - Arcada-Club
Teachable Machine