ZEIT für die Schule
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Interview

Frau Hannig, eine Schule in New York hat aus Angst vor Plagiaten den Zugang zu ChatGPT von ihrem Schul­netz­werk aus gesperrt. Lässt sich der neuartigen Technologie einfach die Tür vor der Nase zuschlagen
Theresa Hannig: Nein. Die Art und Weise, wie wir lernen und arbeiten, wird sich künftig vollständig verändern. Die Revolution, die durch text­generierende Künstliche Intelligenz angestoßen wird, ist meiner Meinung nach gleich­wertig mit der Erfindung des Internets. Wir stecken natürlich noch in den Anfängen. Das erste Auto hätte auch nicht mit einem Formel-1-Wagen mithalten können. Aber wir werden nie wieder in einer Welt ohne text­generierende Künstliche Intelligenz leben. Und außerdem ist das, was gerade passiert, die Grundlage für jedwede Kommunikation mit Computern, die wir uns immer gewünscht haben.

Theresa Hannig
© privat

Theresa Hannig wurde 1984 geboren und studierte Politik­wissen­schaft. Sie arbeitete als Software­entwick­lerin, Projekt­managerin und Licht­designerin, bevor sie sich haupt­beruflich dem Schreiben zuwandte. Mit ihrem Debütroman „Die Optimierer“ gewann sie den Stefan-Lübbe-Preis 2016 und den SERAPH 2018 für das beste Debüt. Ihr zweites Buch „Die Unvoll­kommenen“ stand auf der Shortlist für den Phantastik­preis der Stadt Wetzlar. Im März 2023 erhielt sie für ihr Engagement den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung. Wenn sie nicht schreibt, ist sie als Speakerin für Themen wie Gesellschaft und KI, Demokratie und Überwachung, Zukunft der Arbeit und Frauen in der digitalen Welt tätig. Theresa Hannig lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Nähe von München.

Was ist das revolutionär Neue?
Bislang war es immer so, dass wir uns parallel zu den Tools, die wir entwickelt haben, weitere Fähigkeiten aneignen mussten. Wenn ich einen Taschen­rechner bedienen wollte, musste ich die Grundlagen der Mathematik beherrschen. Bei Text­verarbeitung am Computer musste ich mit einer Tastatur und einer Maus umgehen können. Und um programmieren zu können, musste ich bislang eine Programmier­sprache erlernen. Dieses Muster wird durch die jetzige Art der Künstlichen Intelligenz, durch das maschinelle Lernen komplett gebrochen. Denn wir sind nun in der Lage, der KI in unserer Mutter­sprache Anweisungen zu geben, und diese Befehle werden ausgeführt, ohne dass das Erlernen weiterer Skills notwendig wäre.

Zum Beispiel?
Ich kann zu ChatGPT sagen: „Schreib mir bitte den HTML-Code für eine Website, auf der die Erde zu sehen ist und um die Raumstation ISS kreist.“ Dann sagt ChatGPT: „Okay, warte kurz.“ Nach wenigen Minuten spuckt mir das Programm einen Code aus, den ich nur noch kopieren und in meine Website einfügen muss. Ich habe es ausprobiert, es funktioniert.

Und das ist wie gesagt nur der Anfang. Künftig kann ich mein Wohnzimmer abfilmen und der KI meine Couch zeigen, für die ich gerne einen Hocker hätte. Das Programm entwirft mir ein paar Möbel­stücke, und den Entwurf, den ich am liebsten mag, kann ich anschließend über meinen 3-D-Drucker materialisieren. Das ist eine gigantische Revolution im Hinblick auf die Verarbeitung von Information und Produktion.

In Ihren Romanen geht es weniger um Technik als um die Gesellschaft und die Frage, was die Technik mit den Menschen macht. Wie sähe denn eine KI-basierte Dystopie einer Schule der Zukunft aus?
Den Unterschied zwischen Utopie und Dystopie mache ich immer an zwei Dingen fest. 1. Werden die Menschen zu ihren Handlungen gezwungen, oder sind sie frei? 2. Muss jemand übermäßig für das gute Leben eines anderen leiden? Für viele Kinder fühlt sich Schule heute schon wie eine Dystopie an, weil sie in ein System gezwängt werden, in dem bestimmt wird, was wichtig ist und was sie lernen müssen, ohne dass dies etwas mit ihrem Leben oder ihren Interessen zu tun hat. Darüber hinaus werden sie in einer Weise bewertet, die nicht individuell, sondern vergleichend und kompetitiv ist. Da kommt es dann auf die individuelle Lehrkraft an, den Pflicht­stoff so zu vermitteln, dass alle Schüler*innen etwas davon haben. In einer Dystopie müsste man ehrlicher­weise gar nicht viel am Schulsystem ändern, es nur noch strenger machen, noch mehr entindividualisieren, alles überwachen und durch KI auswerten und optimieren lassen.

Wie in China. Dort kontrollieren Kameras, wie oft Lernende auf ihr Handy schauen, und Gehirn­wellen-Tracker messen die Konzentration der Schüler*innen.
Genau. Und wer am besten und schnellsten ist, erhält Ruhm, Ehre und einen besonderen Score. Wer da nicht mithält, wird beschämt. So fördert man eine Elite, die die vermeintlich Schlechteren mit Herablassung behandelt, während diese „Schlechteren“ sich aufreiben, um auch zu denen da oben zu gehören.

Eine solche Zukunft für die Schulen wollen wir in Europa nicht. Deshalb hat die Europäische Kommission im Oktober 2022 ethische Leitlinien für Lehrkräfte über die Nutzung von KI und Daten für Lehr- und Lernzwecke veröffentlicht. Wie sähe denn ein Klassen­zimmer der Zukunft im besten Fall aus?
Hier käme die KI als Assistenz zum Einsatz, mit deren Hilfe sich die jeweiligen Stärken der Schüler*innen heraus­finden und fördern ließen. Sodass ein Kind, das gut in Mathe ist, in diesem Fach gefördert würde. In Kunst oder Religion dürfte es dann ruhig etwas schlechter sein. Denn parallel zur KI verändert sich ja auch die Definition dessen, was wichtig ist. Über lexikalisches Wissen zu verfügen, ist angesichts einer Fragen beantwortenden KI kein zeitgemäßes Bildungs­ideal mehr. Stattdessen brauchen wir Menschen, die Zusammen­hänge verstehen, kritisch denken und in ihren Fachgebieten auf neue Ideen kommen.

Wie kann die KI konkret helfen, die Schüler*innen darin auszubilden?
Ich stelle es mir so vor, dass es eine KI aufseiten der Lehrer*innen gibt. Sie hilft zunächst einmal bei der normalen Unterrichts­vorbereitung.

Aber einen Roboter anstatt der Lehrkraft gibt es nicht?
Nein. Fast jede*r von uns erinnert sich doch an diese eine Lehrkraft, die uns persönlich inspiriert und weitergebracht hat. Solche Leute brauchen wir. Insofern sind Lehrer*innen auch im Klassenzimmer der Zukunft absolut notwendig. Sie haben im Gegensatz zur KI eine pädagogische Ausbildung und Lust, zu unterrichten. Dass dies im Augenblick durch Lehrkräfte­mangel und chronische Unter­finanzierung der Schulen auch in Gefahr ist, steht auf einem anderen Blatt. Bleiben wir mal bei den Möglichkeiten. Eine KI könnte eine menschliche Lehrkraft entlasten und Impulse geben. Es wäre beispiels­weise denkbar, dass eine KI den Unterricht filmt und die Daten statistisch auswertet. Um dem Dystopie­vorwurf vorzubeugen: nicht um zu bewerten und zu strafen, sondern um Förder­potenzial zu erkennen. Auf dieser Grundlage ließe sich gut ablesen, wer mit den Aufgaben klarkommt und vielleicht Zusatz­aufgaben möchte, die die KI generiert, oder wer noch mehr Erklärungen benötigt. Die KI-Assistenz macht die Lehrkraft dann auf Schüler*innen aufmerksam, die Probleme haben. Dadurch gewinnen die Lehrer*innen Zeit, die dann für persönliche Gespräche mit Kind oder Eltern zur Verfügung steht.

Und wie könnten Schüler*innen die KI nutzen?
Sie hätten neben der Lehrkraft einen persönlichen Ansprech­partner, einen eigenen Tutor.

Die KI wäre dann eine Stimme für die Schüler*innen?
Eine Stimme wäre vermutlich zu abstrakt. Die KI könnte für die Kinder und Jugendlichen ein visualisierter Buddy sein: ein Vogel, ein Furby, ein Tamagotchi. Einigen Kindern geht es in der Schule phasen­weise ja auch schlecht, sie werden gemobbt oder haben mit sozialen Ängsten zu kämpfen. Ein persönlicher Buddy könnte entlasten und empowern.

Sehen Sie kein Problem darin, eine KI zu stark zu vermenschlichen?
Die Frage der Vermenschlichung ist tatsächlich sehr komplex: Einerseits vermenschlichen wir die ganze Zeit. Wir unterhalten uns mit unseren Haustieren und geben unseren Autos Namen – in diesem Zusammen­hang spricht nichts dagegen, einer KI-Assistenz einen Namen zu geben, siehe Siri oder Alexa, und sie quasi wie eine Person anzusprechen oder auch mal mit ihr zu schimpfen. Anderer­seits müssen wir uns bewusst sein, dass die KI-Technologie, die wir heute zur Verfügung haben, weit davon entfernt ist, ein Bewusstsein und damit einen Personen­status zu haben, auch wenn es sich auf den ersten Blick so anfühlt, weil wir Sprache so sehr mit Mensch­sein verknüpfen.

Pikant dabei ist: Wenn wir in Zukunft irgendwann ein Bewusst­sein schaffen, würden wir es vielleicht gar nicht erkennen, weil wir gar keine Technologie haben, um Bewusstsein von einer Bewusst­seins­simulation zu unterscheiden. Den klassischen Turing-Test besteht ChatGPT heute schon mit links. Der Test besagt ja: Wenn ein Mensch fünf Minuten lang ein Gespräch führen kann, ohne zu merken, dass er mit einer Maschine spricht, hat der Computer den Test bestanden. Gleich­zeitig müssen wir vorsichtig sein, welche intellektuellen Leistungen, die wir früher mit Menschsein verknüpft haben, jetzt entwerten werden. Denn ich kann mir durchaus eine Dystopie vorstellen, in der die Argumente, die wir jetzt nutzen, um der KI den Personen­status abzusprechen, auch dafür genutzt werden, um bestimmten Personen­gruppen das Menschsein abzusprechen. Man sieht also: Hier gibt es noch eine Menge Diskussions­potenzial. Ich persönlich bin der Meinung, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir tatsächlich eine starke KI entwickeln, die ein Bewusstsein hat – egal ob in 20 oder in 200 Jahren. Spätestens dann sollten wir gelernt haben, mit allen Lebewesen, die ein Bewusstsein und Leidensfähigkeit besitzen, respektvoll umzugehen.