Mit Unterstützung von ZEIT für Lehrer und der Google News Initiative
Herr Professor Burow, nach den Sommerferien beginnt die Schule in den meisten Bundesländern im Regelbetrieb. Mit welchen Gefühlen begleiten Sie diese Öffnung in Zeiten der Pandemie?
Als Vater einer 16-jährigen Tochter und Ehemann einer Studienrätin am Gymnasium mit großem Unbehagen. Denn es scheint, dass die verantwortlichen Stellen zu wenig erkannt haben, dass eine Rückkehr zum Regelbetrieb unter normalen Bedingungen unmöglich ist. Die Frage ist außerdem: Ist es jenseits der Pandemie wünschenswert, die alten Bedingungen beizubehalten? Ich denke nicht.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer Corona-Chance. Was meinen Sie damit?
Angesichts der zentralen Herausforderungen wie der Digitalisierung, der Globalisierung und dem Klimawandel zeigt sich, dass wir in der Schule neue inhaltliche Schwerpunkte setzen und neue Lernformate kreieren müssten. Deswegen gehen die Schüler ja auch auf die Straße – weil sie merken und kritisieren, dass ihre Zukunftspläne und Lebensthemen gar nicht behandelt werden. Die Corona-Chance ist, dass wir jetzt darüber nachdenken können, ob die Art und Weise, wie wir seit 200 Jahren Schule machen, noch zeitgemäß ist. Was hat sich bewährt? Und wo können wir die Möglichkeiten der Digitalisierung für mehr Lernfreude, mehr Engagement und bessere Leistung nutzen?
Olaf Axel Burow
ist ein deutscher Lehrer, Gestaltpädagoge und Professor für Allgemeine Pädagogik. Seit mehr als 40 Jahren forscht, lehrt und publiziert er zu Fragen der Zukunftsgestaltung und ist Mitbegründer und Mitglied des Instituts für Synergie und soziale Innovationen sowie Direktor des IF-Institute for Future Design.
Mit ihm berät er Organisationen aus dem Non-Profit und Profit-Bereich in Fragen zur Zukunftsgestaltung und leitet Ausbildungen in Verfahren der Zukunftsmoderation sowie zum Future-Designer an.
Wie könnte eine Schule der Zukunft denn aussehen?
Die derzeitige Schule ist für einen Normalbetrieb konzipiert, und das Auftreten eines vorhersehbaren Phänomens wie dem Coronavirus lässt das ganze System zusammenbrechen. Deshalb benötigen wir doppelte Systeme wie sie in der Flugindustrie üblich sind für eine resiliente Schule der Zukunft, die neben analogen Formaten auch digitale nutzt.
Welche Schule setzt solche Konzepte bereits um?
Ein gutes Beispiel ist die Alemannenschule in Wutöschingen an der Schweizer Grenze in Baden-Württemberg, eine kleine Gemeinschaftsschule, die im vergangenen Jahr den Deutschen Schulpreis erhielt. Deren Rektor Stefan Ruppaner hat in der von mir herausgegebenen pädagogischen Fachzeitschrift, der „Zeitschrift für Pädagogische Führung“, einen Artikel veröffentlicht mit dem provokanten Titel: „Schule und Corona – wo ist das Problem?“. Denn für die Allemannenschule stellte der Lockdown keine besondere Herausforderung dar. Die Schüler sind alle im Besitz eines iPads, von dem aus sie auf digitale Lernplattformen zurückgreifen können. Dadurch sind sie seit Jahren mit selbststeuerndem Lernen vertraut. Die Lehrenden ihrerseits wissen digitale und analoge Unterrichtsmethoden anzuwenden. Man muss sich vorstellen, dass digitales Lernen ja nicht bedeutet, dass alle plötzlich vor Flachbildschirmen sitzen. Digitales Unterrichten ist letztlich nichts anderes als eine modernisierte Montessori-Pädagogik. Maria Montessoris Credo war: „Hilf mir, es selbst zu tun“. Die Hilfe zur Selbsthilfe hat die Reformpädagogin durch die vorbereitete Umgebung erreicht, durch Lernmaterialien im Klassenzimmer also, durch die die Schüler nicht einfach frontal in einem kahlen Raum sitzen und berieselt werden. Auf das digitale Zeitalter übertragen, bedeutet das: Die Pädagogen müssen die Umwelt der Schülerinnen und Schüler mit Lernplattformen und Teamformaten ausstatten und sie dazu einladen, damit umzugehen. Benötigen sie Rat, assistieren die Pädagogen.
Eignet sich dieses selbststeuernde Lernen für alle Schüler gleichermaßen?
Natürlich funktioniert es besser bei Schülerinnen und Schülern mit den entsprechenden sozialen Hintergründen. Aber wenn die Lehrkräfte den Unterricht so umstellen, dass er stärker über die vorbereitete Umgebung läuft, dann gibt es durch die Reihe von selbstständig agierenden Schülerinnen und Schülern frei gewordene Zeit für diejenigen, die wirklich Unterstützung brauchen. Da ändert sich die Rolle der Lehrkraft: weg vom Unterrichten hin zum Lern-Umgebungs-Design und Coaching.
Was muss sich tun, damit es mehr Schulen wie die Allemannenschule gibt?
Alle Schulen, die gut durch die Krise gekommen sind, hatten hochmotivierte, engagierte Schulleiter, die sich teilweise gegen die Schulverwaltungen durchgesetzt haben. Grundsätzlich gilt es den Schulen mehr Eigenverantwortung zu übertragen, als das jetzt der Fall ist.
Wie kann ich als einzelner Lehrer, als einzelne Lehrerin dazu beitragen, den Unterricht digitaler und selbststeuernder zu gestalten?
Ich würde online nach Fortbildungsmaßnahmen suchen. An der Deutschen Akademie für pädagogische Führungskräfte in Dortmund gibt es beispielsweise den Kurs „Digital Leadership“ von Martin Fugmann, dem ehemaligen Leiter der German International School vom Silicon Valley, der sicherlich sehr hilfreich ist.
Dann finden sich in fast jedem Kollegium zwei, drei Nerds, die richtig Lust auf digitale Themen haben. Diese Mitarbeitenden muss die Schulleitung von ihrem regulären Stundendeputat befreien und sie beispielsweise zu einer Schule reisen lassen, die die die Digitalisierung gut für sich gelöst hat. Dabei geht es nicht darum, andere zu kopieren. Wichtig ist vielmehr herauszufinden, was gut zu der eigenen Bildungseinrichtung passt und wie man die Änderung schrittweise einführen kann. Natürlich bedeutet das am Anfang Mehrarbeit. Die Digitalisierung ist kein Nebenbei-Produkt im laufenden Betrieb. Aber schon jetzt würde ich Corona als wirksamste Fortbildungsmaßnahme im Lehrerbereich der letzten Jahrzehnte bezeichnen.
Inwiefern?
Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben plötzlich angefangen, mit Zoom und anderen digitalen Instrumenten zu arbeiten und schätzen durchaus deren Potenzial. Auf der digitalen Lernplattform Khan Academy etwa steht der gesamte Mathestoff in 4000 Erklärvideos kostenlos bereit. Die Schülerinnen und Schüler können damit in ihrem eigenen Tempo lernen. Genauso ist es möglich, sich den Unterrichtseinheiten in leistungsgemischten Teams anzunähern. Solche Tools entlasten die Lehrkräfte und geben ihnen Raum für die wichtigen Dinge, die es ebenfalls zu vermitteln gilt: Tanz, Theater, Musik, Begegnung. Wir hatten nie ein Zeitalter, in dem es so viele Chancen für ein kreatives, phantasievolles und gestaltendes Lernen gab. Das sollten wir nutzen.
Sie interessieren sich für digitales Lernen? Dann besuchen Sie die interaktiven Workshop im Rahmen von „ZEIT für Lehrer – eine UNCONFERENCE“. Wann? am 25.09. 2020 zwischen 14 und 18 Uhr
Wo? Digital via Hopin. Den Link erhalten Sie nach der Anmeldung unter verlag.zeit.de/zeit-fuer-lehrer/.
Reichen Sie nach der Anmeldung gerne Ideen für die Workshops ein!
ZEIT für Lehrer – Digital UNCONFERENCE
von ZEIT für die Schule und ZEIT Akademie unterstützt von Google News Initiative
Kostenfreies E-Learning-Paket
Als Lehrkraft erhalten Sie kostenfreien Zugriff auf ein E-Learning-Paket zu den Themen von „ZEIT für Lehrer – digital Unconference“: „Achtsamkeit & Resilienz“, „Digital & analog“, „Old School, New School“, „Cybermobbing“ und „Desinformation, Fake News“. Das videobasierte Lernmaterial ist praxisorientiert, mit Tipps für mögliche Problemsituationen im Schulalltag sowie weiterführenden Materialien.