Mit Unterstützung von Google News Initiative
In Zeiten der Krise haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur: Im Mittelalter wurden während der Pest-Pandemie die Juden bezichtigt, Brunnen vergiftet zu haben. Über die Spanische Grippe hieß es Anfang des 20. Jahrhunderts, sie sei eine Biowaffe, und das heutzutage grassierende Coronavirus SARS-CoV-2 soll, je nach Erzählung, absichtlich in einem Labor in China gezüchtet worden sein oder durch Microsoft-Gründer Bill Gates entstanden sein. Er strebe durch Corona eine Zwangsimpfung der Menschheit mit dem Ziel der Weltherrschaft an. „Krisen bedeuten Kontrollverlust, und eine Verschwörungserzählung sorgt für Struktur“, sagt Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Autorin des in diesem Jahr erschienenen Buchs „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. „Diejenigen, die daran glauben, haben ein Feindbild, auf das sie ihre Ängste projizieren können. Das nimmt der Situation, zumindest scheinbar, die Bedrohlichkeit.“
Medienkompetenz frühzeitig erlernen
Dank sozialer Netzwerke verbreiten sich Desinformationskampagnen rasant rund um die ganze Welt. Sie sind vor allem für Kinder und Jugendliche gefährlich, denn diese stehen erst am Anfang ihrer politischen Entwicklung. Und obwohl viele Schülerinnen und Schüler eigene Smartphones, Tablets und Computer besitzen, müssen sie häufig erst noch lernen, kritisch damit umzugehen. Der „International Computer and Information Literacy Study (ICILS)“ zufolge, einer Studie zur Medienkompetenz von Schülern der achten Jahrgangsstufe, erreicht überhaupt nur ein Viertel der „Digital Natives“ aus den Teilnehmerländern das niedrigste Niveau der geforderten digitalen Kompetenzen. Und lediglich 2 Prozent das höchste. Unter den deutschen Schülerinnen und Schülern verfügt lediglich ein Drittel über rudimentäre oder basale computer- und informationsbezogene Fähigkeiten. Die Jugendlichen konnten Informationen, die sie online vorfanden, weder richtig einordnen noch kritisch hinterfragen. Und sind damit anfällig für Fake News, Verschwörungserzählungen – und letztlich Manipulationsversuche, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie bedrohen.
Victor Kappel studiert Geschichtswissenschaften an der Universität Konstanz, ist freier Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung (lpb) Baden-Württemberg und zudem Autor im Team des lpb-Online-Workshops „Achtung Fake News. Gib Fakes keine Chance!“
Verschiedene Experten zum Thema befragen
Um Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, Desinformationskampagnen zu erkennen, hat die Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg den Onlinekurs „Sind denn alle verrückt hier?! Verschwörungstheorien erkennen“ entwickelt. In diesem E-Learning-Angebot möchten die drei Jugendlichen Anna, Dave und Marc herausfinden, was es mit den Kondensstreifen am Himmel auf sich hat. Um die langen dünnen Wolken im Gefolge von Flugzeugen ranken sich unter dem Stichwort „Chemtrails“ bereits seit den 1990er-Jahren zahlreiche Verschwörungserzählungen. Es heißt, sie entstünden, weil Flugzeuge im Auftrag von Staaten Chemikalien versprühen, mit denen sie Wetter und Klima ändern, Menschen vergiften oder anderweitig Einfluss auf das Weltgeschehen nehmen wollen.
„Anna, Dave und Marc begeben sich bei ihrer Recherche zu drei Fachleuten“, sagt Victor Kappel, Masterstudent der Geschichtswissenschaften an der Universität Konstanz und Autor des Onlinekurses. „Ihr Chemielehrer erläutert das Phänomen der Kondensstreifen aus naturwissenschaftlicher Sicht. Bei Frau Schmidt erfahren die Schülerinnen und Schüler, welche Merkmale Verschwörungstheorien ausmachen und wie man sie erkennen kann – zum Beispiel am polarisierenden schwarz-weißen Weltbild. Und in Lektion drei überlegen Anna, Dave und Marc mit einer weiteren Expertin, wie man im Alltag mit Verschwörungstheorien umgehen kann. Unsere zentralen Fragestellungen im Kurs lauten also: Wie werde ich angesprochen? Wie kann ich Verschwörungstheorien erkennen? Was wird mit mir gemacht? Und wie kann ich mich verhalten, wenn ich auf Fake News stoße?“
Der Kurs konzentriert sich auf Chemtrails, weil die meisten Jugendlichen bei diesem Thema vermutlich relativ unvoreingenommen sind, so Victor Kappel. „Anders sieht es bei Verschwörungsmythen um ,9/11‘ aus, die Illuminaten oder die Reichsbürger. Die Gedanken und Theoriegebilde rund um diese Themen sind bei den Jugendlichen durchaus präsent, und möglicherweise haben sie sich bereits eine Meinung hierzu gebildet. In unserem Kurs geht es letztlich aber nicht um eine spezielle Verschwörungserzählung. Wir wollen vielmehr ein Rüstzeug an die Hand geben, mit dessen Hilfe die Schüler generell Fake News und Verschwörungstheorien erkennen können. Kurzum: Es geht um multimedial vermittelte Medienkompetenz und die Grundlagen der Quellenkritik.“
Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen
Lehrkräften empfiehlt Victor Kappel, den Onlinekurs in aktuelle Geschehnisse einzubetten und die Schülerinnen und Schüler vorab, eventuell anonym, zu befragen, welche Verschwörungstheorien sie bereits kennen. „Davon ausgehend ist es aus meiner Sicht ganz wichtig, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen. Sie befinden sich ja in einem Alter, in dem sie empfänglich für vermeintliches Geheimwissen werden, sich informieren und sich möglicherweise freuen, über andere oder mehr Informationen als die Erwachsenen zu verfügen. Werden die Schülerinnen und Schüler dann nicht ernst genommen, mauern sie vermutlich und sind für die kritische Auseinandersetzung mit Quellen nicht mehr so zugänglich.“
Die Quellenkritik zum Erkennen von Fake News muss nicht immer kompliziert sein. Oft lassen sich unseriöse Nachrichten bereits an zahlreichen Rechtschreibfehlern und einem inflationären Gebrauch von Ausrufezeichen erkennen. Ein weiteres Tool zum Entlarven von Fake News ist die Google-Rückwärts-Bildersuche. Bei ihr wird im Internet ein Bild mit anderen verglichen, und Websites mit dem gesuchten Bild werden angezeigt. Dadurch verschafft die Rückwärts-Suche rasch Klarheit darüber, welchem Kontext eine Aufnahme entstammt und ob sie in Zusammenhang mit der Quelle richtig verwendet wird.
„Hilfreich sind auch die unterschiedlichen Faktenfinder der öffentlich-rechtlichen Medien. Außerdem können Lehrkräfte gut Rechercheaufträge an Schülerinnen und Schüler zum Thema Verschwörungserzählungen vergeben und das Thema so in den Unterricht einbinden.“
Spielerisch gegen Verschwörungserzählungen vorgehen
Eine weitere Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen das Aufdecken von Fake News und Verschwörungserzählungen nahezubringen, ist das kostenlos verfügbare Spiel „Bad News“. Mit ihm lernen Jugendliche, wie Fake News aufgebaut sind, indem sie selbst welche konstruieren. Sie schlüpfen dafür in die Rolle eines Internet-Betrügers und erfinden ihr eigenes Nachrichtenportal, für das sie möglichst viele Follower gewinnen sollen. Hierzu Pia Lamberty: „Wo verstärkt die Rede von ,Homeschooling‘ und ,digitaler Lehre‘ ist, sind solche Spiele eine niedrigschwellige Möglichkeit, sich den Themen Fake News und Verschwörungsglauben anzunähern.“
„Sind denn alle verrückt hier?! Verschwörungstheorien erkennen“
Der E-Learning-Kursraum ist kostenfrei und ohne Anmeldung über die Internetadresse https://www.elearning-politik.de/verschwoerungstheorien-kurs zugänglich. Zur Durchführung benötigen die Schülerinnen und Schüler Tablets oder andere Computer, mit denen sie allein oder im Zweierteam arbeiten. Es empfehlen sich Kopfhörer, da der 90-Minuten-Kurs viel mit Audio- und Videoinhalten arbeitet. Für die Auswertung des Arbeitsblatts, mit dem die Ergebnisse festgehalten werden, sollten ungefähr 20 Minuten eingeplant werden. Weitere Angebote finden Sie hier.
Kostenfreies E-Learning-Paket
Als Lehrkraft erhalten Sie kostenfreien Zugriff auf ein E-Learning-Paket zu den Themen von „ZEIT für Lehrer – digital Unconference“: „Achtsamkeit & Resilienz“, „Digital & analog“, „Old School, New School“, „Cybermobbing“ und „Desinformation, Fake News“. Das videobasierte Lernmaterial ist praxisorientiert, mit Tipps für mögliche Problemsituationen im Schulalltag sowie weiterführenden Materialien.