Tatsächlich ist Künstliche Intelligenz (KI) im Alltag der Schüler:innen allgegenwärtig, oft ohne dass sie es bemerken: KI-Systeme beeinflussen z. B., was sie im Netz finden (Google Search), was sie kaufen (z. B. Amazon-Empfehlungen oder individualisierte Werbung), welche Musik sie hören, welche Videos sie sehen (Spotify- und YouTube-Empfehlungen) und sogar, welche Nachrichten sie in ihren „Bubbles“ erreichen.
Während hinter dem Einsatz von KI in den genannten Beispielen meist kommerzielle und politische Interessen stecken, sollte man meinen, dass KI-Anwendungen in der Medizin tatsächlich zum Wohle der Patient:innen eingesetzt werden. – Doch stimmt das auch? Wo genau wird KI in der Medizin bereits erfolgreich verwendet? Und kann KI unserem seit der Corona-Pandemie mehr denn je überlasteten Gesundheits-System wirklich Luft verschaffen?
Diesen Fragen geht der folgende Beitrag nach. Zudem informiert der Text Lehrkräfte über die wichtigsten Grundlagen und zeigt vorneweg, wie Sie die Schüler:innen an KI-Anwendungen im medizinischen Bereich handlungsorientiert heranführen.
Ein spielerischer Zugang zum Thema
Kaum ein komplexes wissenschaftliches Thema wird im Netz so einfach erklärt und spannend aufbereitet, wie Künstliche Intelligenz. Im Folgenden einige Tipps, wie Sie diese Leichtigkeit und Faszination auch in Ihrem Unterricht vermitteln können.
Der Medienpädagoge Tobias Röhl hält „eine spielerische Herangehensweise [für] am besten geeignet“, um KI im Unterricht zu vermitteln. Im Interview mit Filli Montag von der Bundeszentrale für politische Bildung stellt er auch ein Tool vor, mit dem sich die Bilderkennungsfähigkeiten von KI demonstrieren lassen: Google Quick Draw. Hier spielen die Schüler:innen gegen eine KI, die errät, was gerade auf dem Bildschirm gezeichnet wird.
Wenn Sie in Ihrem Unterricht zunächst einige Fachbegriffe erläutern möchten, ist das Spiel „Mensch, Maschine!“ hilfreich: Die Schüler:innen erleben dabei live, wie Maschinen lernen. Oder Sie lesen mit der Klasse den Comic „KI, wir müssen reden“. Er steht online in 5 Sprachen zum freien Download und erklärt die KI-Basics und -Risiken in einfachen, klaren Worten und mit reduzierten, ansprechenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen.
In der Unterrichts-Phase, in der Sie KI-Anwendungen in der Medizin vorstellen, werden Ihre Schüler:innen beim Stichwort Bilddiagnostische KI-Systeme aktiv: Mit dem intuitiven, webbasierten Google-Tool „Teachable Machine“ entwickeln die Lernenden ein eigenes KI-System, das zum Beispiel erkennt, ob Personen eine Atemschutzmaske tragen oder nicht und entsprechend Rückmeldung gibt.
Und wenn am Ende Ihrer Stunde eine gesellschaftlich-ethische Reflexion verschiedener KI-Medizintechnologien geplant ist, beziehen Sie die Schüler:innen in die Vorbereitung einer argumentativ fundierten Debatte ein: In Kleingruppen recherchieren die Lernenden zunächst mögliche Risiken von ausgewählten KI-Anwendungen, z. B. Verzerrungen (Bias), Diskriminierungen, Fehldiagnosen oder mögliche Datenlecks. Dann verständigen sie sich in ihrer jeweiligen Arbeitsgruppe auf grundlegende Werte für eine verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Bei der abschließenden Podiums-Diskussion diskutiert die Klasse, wie Risiken vermindert und Werte gewahrt werden könnten. Besonders spannend wird das, wenn die Teilnehmenden vorher Rollenkarten mit kontroversen Positionen und Formulierungen ziehen.
Im Folgenden nun der inhaltliche Input zu den verschiedenen Unterrichtsphasen.
KI-Grundlagen und wichtige Fachbegriffe
Was versteht man unter „Künstlicher Intelligenz“, „Maschinellem Lernen“ und „Algorithmus“? Um diese Begriffe zu klären, werden hier zwei Quellen herangezogen: das 2-Minuten-Video der Lernplattform KI-Campus und die Plattform für Künstliche Intelligenz:
Unter Künstlicher Intelligenz (KI) fasst man Software- und Robotik-Systeme, die abstrakte Aufgaben und Probleme eigenständig lösen können, die eigentlich menschliche Intelligenz voraussetzen. Dafür werden KI-Systeme „mit Wissen und Erfahrung ausgestattet“ (Video). Entweder, indem jeder einzelne Arbeitsschritt programmiert wird, oder mit Programmen, die selbst aus Daten lernen können. Der Begriff bezeichnet außerdem das Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Entwicklung von KI-Systemen beschäftigt.
Ein Algorithmus ist eine exakt definierte Handlungsvorschrift, vergleichbar mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Lösung einer Mathematikaufgabe oder mit einer Spieleanleitung. In modernen KI-Systemen lernen Algorithmen laufend dazu – durch vom Menschen gesteuertes Training oder selbstständig. So kann die KI auch wiederkehrende Aufgaben bzw. Probleme unter veränderlichen Bedingungen bewältigen.
Damit KI-Systeme eigenständig lernen können, müssen sie zunächst mit vielen Daten trainiert werden. Beim Maschinellen Lernen werden spezielle Algorithmen eingesetzt, die in Beispieldaten Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen, um sie dann auf neue Daten anzuwenden. Oft können Menschen gar nicht mehr nachvollziehen, wie Maschinen lernen („Blackbox“). Im Bereich Medizin fordern Ärzt:innen daher mehr Transparenz, um Maschinelles Lernen besser kontrollieren zu können.
Verständlich und mit konkreten Beispielen erklären die Lernvideos auf der Plattform für Künstliche Intelligenz übrigens auch die drei Lernstile (überwacht, unüberwacht und verstärkend) beim Maschinellen Lernen sowie künstliche neuronale Netze für die Lösung komplexer Aufgaben mit Deep Learning.
KI-Systeme in der Medizin – Chancen und Risiken
Chancen und Risiken bei Diagnostik und Prognosen
- Symptom-Checker-Apps unterstützen Patient:innen bei der Entscheidung, ob ein (Fach-)Arzt oder eine (Fach-)Ärztin aufgesucht werden sollte. Ärzt:innen bekommen wertvolle Hinweise für Anamnese und Behandlung.
- Bilddiagnostische KI-Systeme erkennen schnell und zuverlässig pathologische Veränderungen, z. B. Haut- oder Brustkrebs. Bösartige Melanome identifizieren sie sogar häufiger richtig als Ärzt:innen. Allerdings schlagen sie manchmal auch bei wenig oder nicht therapie-relevanten Krebsformen an. Das führt zur Gefahr einer Überbehandlung oder unnötigen Beunruhigung der Patient:innen. Ärzt:innen sollten deshalb KI-Befunde unbedingt noch einmal kontrollieren.
Assistenz-Roboter
- Roboter-Assistenten kommen im klinischen Bereich zunehmend auch bei chirurgischen Eingriffen im OP zum Einsatz, z. B. bei minimal-invasiven Eingriffen. Sie können „kleinste Schnitte mit höchster Präzision“ (und immer mit ruhigen „Händen“) ausführen, stoßen aber auch an Grenzen, wie ein Beitrag auf der Website Planet Wissen anschaulich schildert.
- In der Krankenhauslogistik unterstützen Robotik-Systeme z. B. bei der Verteilung von Medikamenten.
- Bei Pflegerobotern in der Altenpflege gibt es Befürchtungen, dass der zwischenmenschliche und emotionale Kontakt zwischen Betreuten/Behandelten und Pfleger:innen wegfällt. Meist ersetzt jedoch ein Pflegeroboter menschliche Pflegende nicht, sondern leistet nur in einem Mensch-Maschine-Tandem assistierende Dienste.
- In der Psychotherapie fehlen an allen Ecken und Enden finanzielle und personelle Ressourcen. In manchen Bereichen können hier KI-Chatbots entlasten. So unterstützt etwa das „Seelsorger-Programm“ Karim traumatisierte syrische Geflüchtete in einem Flüchtlings-Camp (vgl. dazu: einen Bericht von Kathrin Werner in der Süddeutschen Zeitung). Inwieweit ein solches Programm allerdings therapeutische Maßnahmen mit einem menschlichen, empathischen Gegenüber ersetzen können, ist fraglich.
Intelligente Neuroprothesen
Mit intelligenten Neuroprothesen können sich Menschen mit Lähmungen nach einem Unfall oder Schlaganfall (vgl. dazu einen Bericht auf der Website der Uniklinik Tübingen) oft wieder besser bewegen. Patient:innen versuchen dabei, gedanklich eine Bewegung auszuführen. Die dabei entstehenden Hirnimpulse werden an eine Roboterorthese übertragen, die dann z. B. das Öffnen einer gelähmten Hand ermöglicht.
Über weitere KI-Anwendungen in Medizin und medizinischer Forschung sowie über das, was in naher Zukunft möglich ist, informiert das Fraunhofer-Institut auf seiner Website.
KI in Schule und Medizin – ein Crash-Kurs für Lehrkräfte
In den Lehrplänen und in der Lehrer:innen-Aus- und Fortbildung tauchen KI-Themen bisher eher am Rande auf, z. B. in Informatik in der Oberstufe. Deshalb hier noch ein kurzer Hinweis auf „KI-Campus“: Die Lernplattform bietet frei zugängliche Online-Kurse, Tutorials und Podcasts von und mit KI-Expert:innen, die oft auch ohne Vorkenntnisse gut verständlich sind.
Auf der Überblicksseite sehen Sie die verfügbaren Kurse: Der Workshop „Schule macht KI“ umfasst z. B. gerade einmal 4 Module à 60 Minuten und ist so aufgebaut, dass Lehrkräfte nach dem Kurs das Thema KI in Sekundarstufe 1 und 2 unterrichten können. Vertiefende Informationen zu KI-Systemen in der Medizin liefern die „Dr. med. KI“-Podcasts: Kerstin Ritter, Juniorprofessorin für Computational Neuroscience an der Charité Berlin, spricht in den bis dato 24 Folgen mit Gästen aus verschiedenen Bereichen der Medizin und Medizininformatik darüber, wie KI funktioniert und in der Medizin angewendet wird.